Bandscheibenvorfälle: Diagnostik, Symptome und Therapie

 

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Diagnostik und Symptome:

Eventuell vorhandene neurologische Ausfälle lassen sich durch Sensibilitätstestung der einzelnen Dermatome, das Bewegen der Kennmuskeln für die jeweiligen Segmente gegen Widerstand sowie das Testen der Kennmuskelreflexe feststellen (vgl. Tabelle 1). Durch Vergleich mit der Gegenseite kann bei einem Kennmuskel eine relative Muskelschwäche festgestellt werden. Die Denervierung eines Muskels lässt sich auch mittels eines Elektromyogramms nachweisen. Diese Methode zeigt aber erst ca. zwei Wochen nach Eintritt der klinisch nachweisbaren Lähmung verwertbare Ergebnisse [Schirmer, 1994; Libsch, 2001].  

Tabelle 1: Zuordnung der Paresen, Reflexausfälle und Dermatome zu einzelnen Rückenmarkssegmenten [nach Masuhr & Neumann, 2004]

Nervenwurzel Paresen Reflexausfälle Dermatomlokalisation
C5 Mm. deltoideus und biceps brachii Bicepssehnenreflex Schulter und lateraler Oberarm
C6 Mm. biceps brachii und brachioradialis Bicepssehnenreflex

Brachioradialisreflex

lateral oberhalb des Olecranon, radialer Unterarm, Daumen und Zeigefinger radial
C7 Mm. pectoralis major, triceps und pronator teres Tricepssehnenreflex dorsaler Unterarm, Zeige- Mittel- und Ringfinger
C8 kleine Muskeln der Hand Trömmer-Reflex, Tricepssehnenreflex dorsaler Unterarm, Ring- und Kleinfinger
L3 Mm. quadriceps femoris und iliopsoas Patellarsehnenreflex vom Trochanter major über den Oberschenkel nach medial bis zum Knie
L4 Mm. quadriceps femoris und tibialis anterior Patellarsehnenreflex über die Hüfte und den lateralen Ober­schenkel bis zum Malleolus medialis
L5 Mm. extensor hallucis longus und extensor digitorum brevis Tibialis-posterior-Reflex vom lateralen Oberschenkel zum Kniegelenk, entlang der Schienbeinkante über die Dorsalseite des Fußes bis zur Großzehe
S1 Mm. gluteus maximus, triceps surae, und Mm. peronaei Achillessehnenreflex Hinterseite des Ober- und Unterschenkels bis zum äußeren Knöchel, lateraler Fußrand, Kleinzehe und laterale Hälfte der Fußsohle

Des Weiteren geben bildgebende Verfahren wie die Computertomo­graphie, die Magnetresonanztomographie und die aufgrund des invasiven Charakters nur noch in Ausnahmefällen praktizierte Myelographie Aufschluss über die betroffene Etage und die Art der Bandscheibenläsion.

 

Der lumbale Bandscheibenvorfall:

Bandscheibenvorfälle treten am häufigsten im Lendenwirbelsäulenbereich auf [Masuhr & Neumann, 2004]. Hierbei liegt der Bandscheibenvorfall meist zwischen LWK4/5 oder LWK5/SWK1 [Delank & Gehlen, 2006]. Das gehäufte Auftreten in diesem Bereich ist darauf zurückzuführen, dass diese Segmente den stärksten Belastungen ausgesetzt sind [Soyka, 1991], da bei vergleichsweise hoher Beweglichkeit das gesamte Gewicht des Oberkörpers auf ihnen lastet. Die mehr lateral gelegenen Bandschei­benvorfälle führen meist zu einer Wurzelreizung, während die medialen Protrusionen und Prolapse je nach Intensität zur Lumbago oder Kaudaschädigung führen.

 

Lumbago:

Eine Protrusion oder ein Prolaps führen häufig durch Reizung des durch die Rami meningei der Nervi spinales sensibel innervierten Ligamentum longitudinale posterius zum so genannten "Hexenschuss" (Lumbalgie, Kreuzschmerz). Die Kreuzschmerzen, die nicht in die Extremitäten ausstrahlen, beginnen meist sehr plötzlich und werden häufig durch abrupte Bewegungen ausgelöst. Bei einer Erhöhung des intraabdominalen Druckes (Pressen, Heben schwerer Gegenstände, Husten, Niesen) werden die Schmerzen verstärkt. Der Lendenwirbelsäulenbereich ist meist druckschmerzhaft. Die Lendenlordose ist häufig abgeschwächt oder ganz aufgehoben. Es besteht oft eine Skoliose, die konvex zur kranken Seite gerichtet ist. Die paravertebrale Muskulatur verspannt sich (Muskelhartspann) und fixiert so die Schonhaltung. Wenn der Prolaps rückbildungsfähig ist, verschwinden die Symptome nach einiger Zeit (Stunden oder Tagen) in Schonhaltung meist wieder [Delank & Gehlen, 2006].

 

Radikuläre Symptome:

Bei einem lateralen, mediolateralen oder medialen  Bandscheibenvorfall kommt es zur Reizung der Spinalnervenwurzel des betroffenen Segments mit Schmerzausstrahlung in das entsprechende Dermatom. Gleichzeitig können Sensibilitätsstörungen im selben Dermatom auftreten [Delank & Gehlen, 2006]. Da die Bandscheibenläsion hauptsächlich im unteren LWS-Bereich auftritt, ist meist eine der Wurzeln, die den Nervus ischiadicus bilden, für das Krankheitsbild der Ischialgie (Lumboischialgie) verantwortlich. Die meisten Bandscheibenvorfälle erfolgen mediolateral und betreffen so die den Spinalkanal verlassende Nervenwurzel der nächsttieferen Etage, d.h. ein Prolaps zwischen LWK4/5 komprimiert die Wurzel L5.

Bei radikulären Syndromen im LWS-Bereich ist das Lasègue-Zeichen positiv: heftiger Ischiadicus-Dehnungsschmerz im Kreuz, Gesäß und Bein bei passiver Beugung des gestreckten Beins des liegenden Patienten im Hüftgelenk. Das umgekehrte Lasègue-Zeichen: Femoralis-Dehnungs­schmerz bei Anheben des gestreckten Beins in Bauchlage des Patienten, tritt bei  Reizung höherer lumbaler Wurzeln auf [Masuhr & Neumann, 2004]. Bei einer sehr starken Kompression der motorischen Radices treten Reflexabschwächungen der vom jeweiligen Segment innervierten Muskeln (vgl. Tabelle 1) sowie häufig auch Paresen und seltener Muskelatrophien auf. Kommt es zum Absterben der Nervenwurzel (Wurzeltod), hören die Schmerzen schlagartig auf, während die Paresen sowie die radikuläre Analgesie und Anästhesie fortbestehen [Delank & Gehlen, 2006].

Radikuläre Symptome können schon die erste Lumbalgieattacke begleiten oder erst im Verlauf von Rezidiven einsetzen. Bei sehr weit lateral gelegener Protrusion der Bandscheibe kann die radikuläre Symptomatik auch ohne begleitende Kreuzschmerzen auftreten.

 

Kaudasyndrom:

Ein medialer Massenprolaps führt durch Kompression der Cauda equina zum Kaudasyndrom. Die Symptome sind meist beidseitige in die Dermatome der betroffenen Spinalnervenwurzeln ausstrahlende Schmerzen mit Paraparesen (Paresen an beiden Beinen), Sphinkterstörungen, Blasen­lähmung, Mastdarmstörungen [Schirmer, 1994] und Reithosenanästhesie (Anästhesie in der Perianalregion mit angrenzenden Oberschenkelinnen­seiten) [Liebsch, 2001]. Diese Symptome treten entweder sehr plötzlich auf oder werden häufig durch immer wieder auftretende ausstrahlende Schmerzen mit wechselnder Seitenbetonung angekündigt. Ein Kauda­syndrom ist ein neurochirurgischer Notfall mit akuter Operationsindikation [Delank & Gehlen, 2006]. Bei einem medialen, lumbalen Massenprolaps auf Höhe LWK1/2 kann auch ein Konussyndrom durch eine Schädigung des Conus medullaris entstehen. Dieses verursacht Paresen der Mm. glutei (Glutäalreflex nicht mehr auslösbar), Blasenlähmung, Paresen des M. sphincter ani externus, Impotenz und Reithosenanästhesie [Schirmer, 1994].

 

Der zervikale Bandscheibenvorfall:

Fortschreitende degenerative Veränderungen der Bandscheiben begleitet von sekundär auftretenden osteophytären Veränderungen vor allem an den Processus uncinati der Halswirbelkörper führen zu einer Verengung der Foramina intervertebralia. In den verengten Foramina intervertebralia können einzelne Nervenwurzeln irritiert werden. Entsprechend der Belastung der Halswirbelsäule ist die Wurzel C7 gefolgt von den Wurzeln C6 und C8 am häufigsten betroffen [Schirmer, 1994]. Als Hauptsymptom steht der Schulter-Arm-Schmerz im Vordergrund mit Schmerzausstrahlung abhängig von der betroffenen Nervenwurzel in die radiale oder ulnare Seite des Armes und der dazugehörigen Finger. Neurologisch können segmentale Schmerzen, Parästhesien und sensible Ausfälle beobachtet werden. Ferner können motorische Ausfälle, Reflexabschwächungen, Muskelatrophien (vgl. Tabelle 1) und vegetative Störungen im entsprechenden Versorgungsgebiet auftreten. Die Schmerzen verstärken sich bei Drehung des Kopfes zur betroffenen Seite oder einer Überstreckung des Halses. Die Halswirbelsäule lässt sich meist kaum noch bewegen und es besteht ein Muskelhartspann (s.o.) der paravertebralen Muskulatur [Liebsch, 2001].

Ein medialer Bandscheibenvorfall ist äußerst selten. Innerhalb kürzester Zeit würde dieser zu einer hohen Querschnittslähmung führen und müsste sofort operiert werden.

 

Therapie:

Konservative Therapie:

Die konservative Therapie bei einem Hexenschuss oder einer Ischialgie beginnt mit körperlicher Schonung. Strenge Bettruhe ist nicht unbedingt erforderlich. Eine feste Matratze und bestimmte Lagerungen, die eine Entlastung der Wirbelsäule bewirken (Stufenbett), können bereits wesentlich zur Beschwerdeminderung beitragen [Schirmer, 1994]. Währenddessen erhält der Patient Wärmebehandlungen und Analgetika, um eine Entspannung der Muskulatur zu erreichen. Nach einer gewissen Zeit der körperlichen Schonung können physiotherapeutische Maßnahmen angewandt werden, die mit der Zeit intensiviert werden können (z. B. Rückenschwimmen, Wirbelsäulengymnastik zur Stärkung der Bauch- und Rückenmuskulatur) [Masuhr & Neumann, 2004].

Die konservative Therapie bei zervikalen Bandscheibenvorfällen besteht in der Gabe von Analgetika und Muskelrelaxantien. Zudem kann der Hals mittels einer Halskrawatte unter leichtem Zug ruhig gestellt werden. Nach Besserung der Symptomatik können physiotherapeutische Maßnahmen zur Kräftigung der paravertebralen Muskulatur angewandt werden [Liebsch, 2001].

Operative Therapie:

Wenn sich die Symptome unter konservativer Therapie nicht bessern (nach 2-4 Wochen), sich verschlimmern bzw. neurologische Ausfälle auftreten, d.h.  Schmerzminderung bei anhaltenden oder zunehmenden Paresen (beginnender Wurzeltod), ist ein operatives Eingreifen erforderlich [Masuhr & Neumann, 2004]. Operationsindikationen bestehen des Weiteren bei Kaudasyndrom (s.o.), bei akuten motorischen Paresen und bei mehrfachen Rezidiven mit nicht unerheblichen Beschwerden [Mummenthaler & Mattle, 2002].  Die Höhe der Bandscheibenläsion kann über die Symptomkonstellation (siehe Tabelle 1: Kennmuskeln, betroffene Dermatome) und bildgebende Verfahren wie Computertomographie, Magnetresonanztomographie und in Ausnahmefällen (s.o.) über Myelographie festgestellt werden.

Bei zervikalen Bandscheibenvorfällen wurden früher die entsprechenden Wirbel nach Entfernung der Bandscheibe durch einen knöchernen Dübel, der zum Beispiel aus dem Beckenkamm entnommen wurde, verbunden [Masuhr & Neumann, 2004]. Heute werden stattdessen Titan-Cages eingesetzt, die mit vorher entfernten Knochenstückchen aufgefüllt werden [Uhlenbrock, 2001]. Innerhalb von 6-8 Wochen wird dieser Titan-Cage im Körper vom Knochen durchbaut.

Bei einem lumbalen Vorfall wird je nach Degenerationsausmaß die Bandscheibe teilweise oder vollständig mikrochirurgisch entfernt (Nukleotomie) [Berlit, 2005].

Inzwischen ist auch die Implantation von künstlichen Bandscheiben möglich. Insbesondere im zervikalen Bereich wird diese Methode meist bei jüngeren Patienten eingesetzt. Die Implantate sollen eine bessere Beweglichkeit der Halswirbelsäule ermöglichen als die konventionellen Methoden. Allerdings wird der Vorteil dieser Methode für den Patienten noch kontrovers diskutiert [Firsching, Jöllenbeck & Hahne, 2005].

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Literatur    Download (pdf)

© Zentrum Anatomie der Universität zu Köln

 

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